Suggestive Formulierung.

Harald Kunde, in “HORSTKEINING – SCOOP“, Edition Cantz, 2019

Wer das Werk des in Düsseldorf lebenden Malers Horst Keining (*1949) überblickt, wird unschwer einen sich verstärkenden Hang zur Formaufladung und schichtweisen Überblendung der Sujets konstatieren. Waren die Arbeiten der frühen und mittleren Phase (etwa der Block der 72 Zeichnungen aus dem Jahr 1994) noch geprägt von einem Streben nach Präzision und analytischer Klarheit, dominieren heute längst komplexere Erzählstrukturen voller popkultureller Anklänge und Assoziationen. Es scheint, als hätten sich die Gewissheiten der konzeptuellen und minimalistischen Avantgarden, in deren Umfeld und Geist Keining bis zum Ende des 20. Jahrhunderts agierte, unter dem Druck expandierender Realitäten vollständig verflüchtigt und seien einem Bewusstsein unumschränkter Bildmöglichkeiten gewichen.

Damit verbunden war der Ausbruch aus innerkünstlerischen Referenzsystemen hin zu den Reservoiren einer sich permanent reproduzierenden Image-Welt der Medien, der Werbung, der Gebrauchsanleitungen. Nicht mehr die Wirkung eines Punktes oder einer Linie auf der Fläche bildeten fortan den Gegenstand seiner Untersuchungen, sondern die Strategien der Durchdringung eines quasi profanen Materials und der Verdichtung zum notwendigen Bild. Dieser sozusagen welthaltige Wandel seiner ursprünglich puristischen Position verdankt sich zum einen den fundamentalen Veränderungen im Gefolge des digitalen Iconic Turns, denen heute selbstredend jeder lebende Mensch unterworfen ist. Zum anderen aber erklärt sich dieser Wandel auch aus einem verstärkten erzählerischen Interesse des Künstlers selbst, der Momente, Erinnerungen und Grundmuster der eigenen Vita in den Blick nimmt und in durchscheinenden Schichtungen heraufbeschwört. Diese bewusste Subjektivität grundiert alle Arbeiten Keinings aus den letzten beiden Dezennien und verleiht ihnen in gewisser Weise die Aura einer visuellen Recherche nach der verlorenen Zeit. Sie reicht dabei tief hinab zu frühen Prägungen, sichtbar etwa in den kalkuliert unscharfen Ansichten bombardierter Städte Nachkriegsdeutschlands oder den erklärenden Piktogrammen aus sogenannten Bilderduden der 1960er Jahre. Sie blüht als florales Muster mit einer Tendenz zum Exotik-Anzeiger des bundesdeutschen Tourismusbooms und legt verzweigte Titel-Spuren aus zu künstlerischen Wahlverwandten wie Vladimir Nabokov oder Richard Strauss. Vor allem aber artikuliert sich diese Subjektivität in einer nahezu unerhörten Farbigkeit, die subtil und schrill zugleich die Leinwände überzieht und die Prozeduren ihrer schichtweisen Aufbringung sichtbar werden lässt. Im Wechsel zwischen der Umrisszeichnung der projizierten Vorlage, der per Sprühpistole kolorierten Flächen und der mit Pinsel, Stempel und Raster akzentuierten Partien entwickeln sich leuchtende Gewebe der Figuration, der Abstraktion und der Ornamentik in unauflösbarer Mixtur. Sie oszillieren zwischen Festlegungen aller Kategorien und demonstrieren einen Schwebezustand handbreit über den Sachzwängen der vermeintlichen Wirklichkeit. Auch die sprechenden Titel wie Etwas gefühlvoll Schweifendes, Gestalten ohne Schatten oder Mit zartem Gitterwerk verweisen in produktive Daseinszustände jenseits jeder zweckdienlichen Funktionalität, in denen Inspiration und Freiheit der eigenständigen Artikulation möglich werden. Mit Blick auf sein Gesamtwerk trügt der Eindruck nicht, dass Horst Keining seit längerem schon die ihm gemäße Bild-Form gefunden hat und dass dieser Künstler sich durch sein fortschreitendes Werk geradezu verjüngt.

Harald Kunde, 10. April 2019